Der Wiederaufbau des Schlosses der pommerschen Herzöge nach dem Zweiten Weltkrieg

Der Wiederaufbau des Schlosses der pommerschen Herzöge nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach Kriegsende befand sich der östliche Teil Pommerns mit Stettin innerhalb der Grenzen des polnischen Staates (heute das polnische Westpommern). Das Stettiner Herzogsschloss galt als wertvollstes Baudenkmal der Stadt und der Region, als Wahrzeichen und „Denkmal der Geschichte Westpommerns“. Deshalb wurde der Wiederaufbau beschlossen, wenngleich der ehemalige Sitz der Greifenherzöge eine einzige Ruine war. Die Verluste an der Bausubstanz wurden auf 60% geschätzt. Die ersten Aufräumarbeiten begannen schon 1946. Dabei stieß man auf die Grabkrypta mit einer Reihe von Sarkophagen der Herzöge und darin Resten von Prunkgewändern und höchst kostbaren Renaissanceschmuck. In den Jahren 1947–1952 wurden auf dem Schlossgelände archäologische Untersuchungen durchgeführt. Gleichzeitig wurde mit der Arbeit an den Entwürfen für den Wiederaufbau begonnen, die ab 1954 von Prof. Stanisław Latour geleitet wurden. Die Konzeption des Wiederaufbaus des Schlosses ging von der Wiederherstellung der Form des Bauwerks in der Zeit seiner Hochblüte, also im Renaissancestil, aus. Visuelle Grundlage des Wiederaufbaus war ein Stich von Matthäus Merian aus dem Jahr 1652, der eine perspektivische Ansicht des Schlosses zeigt und zugleich die präziseste Darstellung aus jener Zeit darstellt. Der Wiederaufbau erfolgte in zwei Etappen. Während der ersten in den Jahren 1958–1964 wurden der Nordflügel (vollständige Rekonstruktion der Renaissancearchitektur mit Wiederherstellung der historischen Anordnung der Innenräume) und der Ostflügel (Rekonstruktion lediglich des Baukörpers und der Fassaden, Innenräume zeitgenössisch) wiederaufgebaut, wobei man ihren Renaissancecharakter hervorhob. Beide Flügel wurden an die Bedürfnisse eines Woiwodschaftskulturhauses angepasst. Im Nordflügel, der die repräsentativsten Innenräume enthielt, wurden ein Theater- und Konzertsaal (ehemalige Schlosskirche, heute Bogislaw-X.-Saal), Ausstellungsräume und ein Café eingerichtet. Der Ostflügel wurde für Verwaltungs- und Wirtschaftsräume vorgesehen. Während der zweiten, 1970 begonnenen und 1985 abgeschlossenen Etappe wurden die übrigen drei Flügel rekonstruiert: der West-, der Süd- und der Münzflügel. Die Arbeiten am Westflügel (1970–1973), der sich nach dem Krieg im besten technischen Zustand befand, beruhten auf der Konservierung und Rekonstruktion der äußeren Form, wobei die Arkaden, der Treppenhausturm und die Attika wiederhergestellt wurden, während die Anordnung der Innenräume neu gelöst wurde. Der Münzflügel wiederum wurde ganz in seiner Form aus dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts rekonstruiert, wobei die Innenräume neu angeordnet und zum Sitz der Konservierungswerkstätten für Baudenkmäler bestimmt wurden (1972–1976).

Am schwierigsten gestaltete sich der Wiederaufbau des Südflügels, des ehemaligen „Großen Hauses“, der im 19. Jahrhundert die meisten Umbauten und im Zweiten Weltkrieg die größten Zerstörungen erfahren hatte. Der Entwurf sah eine komplexe Rekonstruktion in seiner reichen Form aus der Zeit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert vor, als man sich für die Bestimmung des Flügels für den Sitz des Musiktheaters (der heutigen Schlossoper) entschied. Die letztendliche Rekonstruktion umfasste die äußere Form mit den spätgotischen Maßwerkgiebeln, die Keller und einen Teil der Räumlichkeiten im Erdgeschoss (den heutigen Gotischen Saal, die Räume des Standesamtes).

Die Arbeiten am Wiederaufbau des Schlosses der Pommernherzöge wurden 1985 abgeschlossen – dreiundzwanzig Jahre nach ihrem Beginn. Hauptausführender waren die Werkstätten für die Konservierung von Baudenkmälern (Pracownie Konserwacji Zabytków) in Stettin. 2008 wurde im Vestibül des Nordflügels eine Gedenktafel für den Leiter der Entwurfsarbeiten für den Wideraufbau, Prof. Stanisław Latour (1927–2007), angebracht. Seit der Freigabe der ersten Säle im Nordflügel ist das Schloss der pommerschen Herzöge Schauplatz unzähliger Veranstaltungen gewesen, von denen viele in die Geschichte Stettins eingegangen sind (unter anderem das Festival der polnischen zeitgenössischen Malerei, die Installation „Brennende Vögel“ von Władysław Hasior am Abhang des Schlossbergs, die Shakespeare-Aufführungen der Staatlichen Dramentheater in der Regie von Józef Gruda im Bogislaw-X.-Saal, das Große Turnier der Tenöre).